Und wie hätten Sie reagiert, wenn Ihr Partner oder Ihre beste Freundin den Wein verschüttet hätten? Hätten Sie sie genauso behandelt wie sich selbst? Oder wären Sie mit ihnen nachsichtiger gewesen? Falls ja, sollte Ihnen das zu denken geben… oder anders formuliert: würden Sie mit jemandem zusammen sein oder auch nur befreundet sein wollen, der andere so behandelt, wie Sie sich selbst behandeln? Wenn nein, wissen Sie, woran Sie dringend zu arbeiten haben.
Denn wenn Sie sich selbst so schlecht behandeln, wie Sie niemanden sonst behandeln würden, wenn Sie sich selbst Tag für Tag mobben - was glauben Sie wohl, bedeutet das für Ihr Selbstwertgefühl? Für Ihr Selbstbild, Ihre Lebensfreude, Ihre Leistungsfähigkeit? Was bedeutet es für Ihre Motivation, Ihre Zufriedenheit, Ihre Ausstrahlung?
Die “inneren Stimmen”, die fast jeden Menschen den ganzen Tag kommentierend begleiten, sind tiefenpsychologisch gesehen ein Relikt aus unserer Vergangenheit - zumindest dann, wenn Sie noch keine Ordnung ins Chaos der inneren Stimmen gebracht und diese noch nie hinterfragt, geschweige denn korrigiert haben.
Ich möchte Sie zu einer Übung einladen, die - regelmäßig angewendet - Ihr Leben verändern kann.
Ich möchte Sie bitten, die nächsten Tage immer wieder darauf zu achten, welche Stimmen in Ihrem Kopf auftauchen und wie diese Ihre Handlungen kommentieren. Versuchen Sie, einzelne davon zu identifizieren und bestimmten Personen aus Ihrer Vergangenheit zuzuordnen. Sie werden überrascht sein, wie vielfältig der Chor der Kommentatoren in Ihrem Kopf ist…
Möchten Sie sich z.B. einfach mal kurz hinsetzen und ausruhen, erscheint vielleicht eine belehrende Stimme in Ihrem Kopf, die Sie mit einem scharfen “Müßigkeit ist aller Laster Anfang!” an die vielen Dinge erinnert, die Sie noch zu erledigen haben. Gegen letzteres ist ja gar nichts einzuwenden, aber woher stammt der wertende Anfangssatz, der sofort ein schlechtes Gewissen in Ihnen hochkommen läßt?
Jetzt wo Sie darüber nachdenken, kommt Ihnen vielleicht Ihre Großmutter in den Sinn, die noch mehr solcher leistungsbezogenen Sprüche auf Lager hatte, samt dem dazugehörigen erhobenen Zeigefinger, und Ihnen wird bewusst: Sie haben sich diese Sprüche alle zu Herzen genommen, und sie sind in Ihnen eingebrannt und kommen nun immer dann hoch, wenn Sie sich gerade ein wenig entspannen und erholen wollen - und verhindern genau diese Erholung und Entspannung dadurch sehr wirkungsvoll.
Nun haben Sie die Wahl, darüber nachzudenken: wie stehen Sie zu den Werten dahinter? Passen sie zu Ihnen und Ihrem Leben heute, als erwachsener Mann, als erwachsene Frau? Machen sie Sinn? Möchten Sie sich überhaupt nach diesen Werten ausrichten, ist es etwas, das SIE SELBST wirklich wollen? Oder ist es das Wertesystem Ihrer Großmutter, das Sie nur teilweise oder vielleicht sogar überhaupt nicht teilen? Und selbst wenn Sie es teilen, muß es denn dieser belehrende Tonfall sein? Sie könnten doch auch einfach nur den Inhalt zur Kenntnis nehmen und der Stimme, die Sie nun als die Ihrer Großmutter identifiziert haben, freundlich, aber bestimmt in Gedanken sagen: "Danke für den Hinweis, Oma, aber ich bin erwachsen und Du kannst es ruhig mir überlassen wann ich mal eine Pause machen will, zumal ich danach mit umso mehr Schwung dann die liegengebliebenen Dinge erledigen kann." Erstaunlicherweise reagieren die inneren Stimmen mit der Zeit auf diesen Dialog - sie werden vorsichtiger und achten mehr auf ihre Formulierung. Manche verschwinden sogar ganz, wenn Sie sie ein paar mal freundlich in ihre Schranken gewiesen haben.
Identifizieren Sie Ihre inneren Stimmen also, und treten Sie mit Ihnen in Dialog!
Oh, Sie meinen, nun taucht eine Stimme auf, die Ihnen sagt, dass es ein Zeichen von Verrücktheit ist, innere Stimmen zu hören und innere Selbstgespräche zu führen?
Na, dann fangen Sie doch direkt an und identifizieren Sie diese Stimme. Wann und von wem haben Sie dadurch gelernt, dass man nicht auf diese Weise an sich arbeiten darf? Dass man diese ganz normalen inneren Stimmen, die so gut wie jeder Mensch hat, nicht hinterfragen und am besten noch nicht einmal bewusst wahrnehmen darf? Und schon gar nicht versuchen darf, ihnen freundlich, aber bestimmt zu widersprechen und sie dadurch zu verändern?
So funktioniert der Mensch nun mal. Das ursprüngliche Wertesystem bildet sich (sehr vereinfacht gesprochen) dadurch aus, dass die Werte der Bezugspersonen eines Kindes von diesem übernommen werden. Beigebracht wurden sie dem Kind anhand von Sprüchen oder Bemerkungen, wie “man” Dinge zu tun, zu sehen, zu verstehen hat. Diese immer wieder gehörten Bemerkungen werden samt Tonfall verinnerlicht und tauchen im späteren Leben immer wieder auf, wenn sich das Kind oder später der Jugendliche und Erwachsene mit ähnlichen Situationen konfrontiert sieht.
Ändern kann man dieses Wertsystem der früheren Bezugspersonen nur dadurch, dass man sich die verinnerlichten Stimmen derer, die uns ihre Sichtweise der Welt und des Lebens einst beigebracht haben, bewußt macht - und dadurch dann die Wahl hat, sich bewusst dafür oder dagegen zu entscheiden.
In der Pubertät werden üblicherweise eine ganze Reihe der anerzogenen Werte auf diese Weise hinterfragt, abgelehnt und durch andere, eigene Werte ersetzt. Später verlieren die meisten Menschen dann diese Fähigkeit wieder, fremde Werte zu hinterfragen - sie sehen sie längst als ihre eigenen an und glauben, den Stimmen, die sie “in der moralischen Spur” halten, auf gar keinen Fall widersprechen zu dürfen. Meist werden die Stimmen noch nicht einmal bewusst wahrgenommen, sondern einfach ohne Nachzudenken befolgt. Und der Tonfall, den sie einschlagen, sagt sehr viel darüber aus, wie wir als Kind gesehen und behandelt worden sind, wenn wir “unseren eigenen Kopf” benutzen wollten anstatt brav “zu folgen”.
Darum ist der erste Schritt auf dem Weg in die Selbstbestimmtheit und in die Eigenverantwortung, die inneren Stimmen wahrzunehmen, zuzuordnen, zu hinterfragen und ihnen gegebenenfalls zu widersprechen - als Erwachsener, der Sie heute schließlich sind.
Es gibt aber auch andere innere Stimmen, nicht nur die übernommenen aus der Vergangenheit. Sie haben auch innere Stimmen, die aus Ihren eigenen früheren Erfahrungen mit früheren Situationen stammen - und die, heute, im Hier und im Jetzt, ebenfalls richtig oder falsch sein können. Auch da ist es der erste Schritt, sie sich bewusst zu machen und zu hinterfragen. Sich ihren Rat anzuhören - und diesen dann zu befolgen oder auch nicht.
Eins sollten Sie sich aber auf jeden Fall verbitten: dass irgendeine innere Stimme jemals anders als vernünftig, freundlich und respektvoll mit Ihnen umgeht. Weisen Sie jede Stimme klar und bestimmt zurück, die die Grundregeln der Höflichkeit Ihnen gegenüber nicht einhält! Allein dieser Schritt kann nicht nur Ihre Stimmung, sondern Schritt für Schritt sogar Ihr ganzes Leben dauerhaft zum Besseren verändern. Probieren Sie’s aus und bleiben Sie unbedingt hartnäckig!