Fragen Sie Ihren Arzt oder Therapeuten...
Es gibt Momente, die machen mich sprachlos. Neulich im Supermarkt war wieder so ein Moment, als ich im Smoothie Regal einen Smoothie mit Aktivkohle fand.
Nicht dass mir Aktivkohle noch nie begegnet wäre, ganz im Gegenteil. Ich war schließlich viele Jahre als Notärztin unterwegs und mache auch heute noch - neben meiner Arbeit als Psychotherapeutin
- regelmäßig Notarztdienste, einfach weil ich gerne Menschen in Notsituationen helfe, sei es körperliche oder seelische Not. Was mich wieder zurück zur Aktivkohle bringt, denn auf jeder
Notaufnahme und auf jeder Intensivstation gehört Aktivkohle zum Standarrepertoire. Mit ihr kann man sehr viele Medikamente wirkungslos machen - was z.B. sinnvoll sein kann, wenn jemand in
suizidaler Absicht eine Überdosis von Medikamenten eingenommen und sich dadurch lebensgefährlich vergiftet hat. Oder wenn ein Kleinkind versehentlich etwas geschluckt hat, das ihm so ganz und gar
nicht gut tut.
Aktivkohle wirkt nicht immer und überall, so einfach ist das Leben und die Medizin nicht. Aber es wirkt nun mal bei sehr vielen Medikamenten (und übrigens auch Nährstoffen...), bindet diese und
reduziert somit deren Aufnahme und dadurch die Wirkung. Also wirklich unheimlich sinnvoll, erst seine täglichen Medikamente einzunehmen, und sich dann einen Aktivkohle-Smoothie zu gönnen.
Ach, Sie nehmen gar keine Medikamente?
Aber vielleicht die Antibabypille? Dann kann man Ihnen neun Monate später womöglich gratulieren. Darauf gleich mal einen Aktivkohle-Smoothie...
Generell habe ich als Ärztin und Therapeutin eigentlich gelernt, mich nicht mehr zu wundern. Man muß ja auch nicht alles verstehen. Wobei, manches verstehe ich ja sogar sehr gut. Zum Beispiel,
dass viele Menschen nach Möglichkeit gar keine Medikamente einnehmen wollen. Und es gibt ja tatsächlich auch in sehr vielen Fällen sehr wirksame Alternativen. Regelmäßige Bewegung zum Beispiel,
vielleicht sogar Ausdauersport, Gewichtsreduktion und gesunde Ernährung sowie regelmäßig durchgeführte Übungen zur Stressbewältigung könnten in vielen Fällen nicht nur die Symptome, sondern die
Krankheit gleich mit beseitigen - das gilt jedenfalls für viele Erkrankungen, die als sogenannte „Zivilisationskrankheiten“ immer mehr ihren Siegeszug angetreten haben, je „besser“ (?) es uns in
der modernen Welt geht.
Das ganze hat nur einen Haken: Man müßte ja sein Leben umstellen und seine Gewohnheiten ändern. Das geht nun wirklich nicht... statt derart grundlegender Verhaltensänderung also dann lieber doch
die Entscheidung für den bequemen Weg der Medikamente. Oder weder noch? Da gibt es doch sicher auch etwas. Auch der große Markt der Zusatzpräparate und Nahrungsergänzungsmittel boomt. Nach dem
Motto „viel hilft bestimmt auch viel“ werden Vitamine oder je nach Präferenz entweder wissenschaftlich-medizinisch oder natürlich-rein oder esoterisch-alternativ klingende Inhaltsstoffe in
Dosierungen eingeworfen, die sich in Studien oft sogar als gesundheitsschädlich herausgestellt haben. Oder bestenfalls noch als wirkungslos. Aber je teurer solche Präparate angeboten werden,
desto interessanter scheinen sie zu werden. Für Gesundheit und Wohlbefinden ist schließlich nichts zu teuer... außer natürlich wenn es um Therapien geht, die von einem Arzt angeboten und von der
Krankenkasse nicht bezahlt werden. Eine ähnliche Therapie fürs gleiche Geld von einem Nicht-Arzt angeboten dagegen ist da schon wieder glaubwürdiger. Denn das weiß doch schließlich jeder, dass
Ärzte in dieser Hinsicht nicht vertrauenswürdig und nur aufs Geld aus sind.
Ganz ehrlich, vertrauen Sie Ihrem Arzt tatsächlich nicht? Dann sollten Sie vielleicht einmal über einen Wechsel nachdenken. Denn ein
guter Arzt - und davon gibt es weitaus mehr, als Sie womöglich glauben - sollte tatsächlich auch Ihr Vertrauter sein. Ihre Anlaufstelle für körperliche oder seelische Gesundheitsfragen aller Art
- und eben nicht das Internet, denn das kann kräftig nach hinten losgehen. Das wissen Sie doch selbst, wenn Sie mal etwas aus Ihrem Spezial- oder Interessensgebiet recherchieren - und dann
amüsiert feststellen, wieviel ausgemachter Humbug sich dazu im Interrnet tummelt, den Sie nur deshalb erkennen und aussortieren können, weil Sie sich in Ihrem Thema nun mal gut auskennen.
Also, Fazit: Lassen Sie sich bitte kein X für ein U vormachen, wenn es um Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden geht. Glauben Sie nicht alles, was Sie
hören oder lesen. Und glauben Sie schon gar nicht der Werbung. Bleiben Sie kritisch, insbesondere bei Versprechungen, die einfach zu schön klingen, um wahr zu sein. Werden Sie vor allem dann
hellhörig, wenn etwas nichts kostet - und damit meine ich nicht Geld, sondern vor allem auch Dinge wie Zeit, Mühe, Anstrengung oder - am schwersten umzusetzen - persönliche Veränderung. Selbst
eine Psychotherapie oder andere Behandlung, die Ihre Krankenkasse übernimmt, hat ihren Preis: Sie kostet das wertvollste was Sie haben, Ihre Zeit. Und zwar einmal wöchentlich eine Stunde, über
einen längeren Zeitraum. Und sie kostet Überwindung, Arbeit, Veränderung. Aber was ist die Alternative? Was ist der Preis dafür, alles beim Alten zu belassen? Nicht nur im seelischen Bereich,
diese Fragen gilt es auch für die körperliche Gesundheit zu beantworten. Und es sind Fragen, die nur Sie selbst
beantworten können: was sind Sie bereit, für Ihre Gesundheit zu tun? Wie hoch ist Ihr Leidensdruck? Womit können Sie leben, womit nicht? Was gilt es zu beachten? Alles Fragen, die nur Sie
beantworten können, da gibt es kein Richtig oder Falsch. Und alles aber auch Fragen, die Sie nur beantworten können, wenn Sie wirklich gut informiert sind. Fragen Sie im Zweifel immer jemanden, dem Sie vertrauen UND der sich damit auskennt: fragen Sie Ihren Arzt oder Therapeuten.
Damit Sie nicht in die Aktivkohle-Falle tappen.