Wie auch bei einem Persönlichkeitstest der Weg das Ziel sein kann



Es gibt einen Persönlichkeitstest, den ich sehr gerne mit Introvertierten, Hochsensiblen und Paaren mache. Die Aha-Effekte, die er hervorruft, können sehr heilsam sein. Der Test ist auch sehr beliebt unter Personalentwicklern in Unternehmen, beim Coaching von Managern und sogar bei Online-Plattformen zur Partnersuche sollen Aspekte daraus Verwendung finden.

Dabei ist er wissenschaftlich recht umstritten: er genügt nicht den strengen Kriterien, die der Wissenschaftler an einen Test anlegt. Er ist z.B. nicht reliabel genug: wird er mehrmals durchgeführt, kann es je nach Testperson manchmal sein, dass ein unterschiedliches Ergebnis herauskommt. 
Aber ich setze ihn auch gar nicht wissenschaftlich ein, und mir kommt es auch nicht darauf an, was dabei im einzelnen herauskommt. Dies ist für die positiven Effekte, derentwegen ich ihn einsetze, auch ziemlich unerheblich. Denn die positiven Aha-Effekte entstehen beim Beantworten der Fragen selbst. (Nur Geduld, ich werde später noch Links zu kostenlosen Varianten dieses Persönlichkeitstests geben, so dass sich jeder selbst davon überzeugen kann, ob es ihm weiterhilft).

Die Originalversion, der Myers-Briggs-Typenindikator, ist lizensiert, sehr umfangreich und nicht kostenfrei, aber wie gesagt, die positiven Effekte auf die ich setze kommen zumindest meiner Erfahrung nach ohnehin nicht durch das Testergebnis zustande, sondern durchs Beantworten der Fragen, die bereits in den vereinfachten, von diesem Test abgeleiteten kostenlos im Internet durchführbaren Varianten aufgeführt sind. 

Je nach Variante sind dies natürlich unterschiedliche Fragen, aber es sind alles Fragen, die auf typische Denkweisen, Verhaltensweisen und Gefühlslagen von ganz verschiedenen Menschentypen abzielen.

Zum Beispiel wird Introversion und Extraversion anhand von Alltagssituationen und Alltagsgedanken abgefragt. Introvertierte erleben durch diese Fragen oft zum ersten Mal, dass Dinge, die sie für schrullige Marotten ihrerseits gehalten hatten, für die sie sich schämten und die sie vor anderen verbargen, weil sie die Ihnen leider wohlbekannte Reaktion fürchteten „wie bist Du denn drauf??“ – dass eben diese Dinge plötzlich als ganz reguläre, normale Antwortvorgabe auftauchen, und dass es somit andere Menschen geben muß, die genauso denken oder handeln – für so manchen Introvertierten eine bahnbrechende und manchmal sogar lebensverändernde Erkenntnis. 
Je nach Variante des Tests sind dies z.B. Fragen wie „In einem vollen Raum bleiben Sie näher an der Wand, als sich in der Raummitte aufzuhalten.“ Oder „Sie haben mehr Energie, nachdem Sie Zeit mit einer Gruppe von Leuten verbracht haben.“ Antwortmöglichkeiten von „stimmt total“ bis „stimmt überhaupt nicht“.

Als weiteres Persönlichkeitsmerkmal, in dem sich Menschen sehr unterscheiden können, wird abgefragt, ob die Testperson mehr logikorientiert oder mehr gefühlsorientiert strukturiert ist. Hier sind es dann die Hochsensiblen, für die die Beantwortung der Fragen zur alles verändernden Erkenntnis führen kann, dass es weitere Menschen wie sie selbst gibt, dass sie in ihrem Denken und Fühlen nicht alleine sind, dass sie einfach nur ein Extrem auf einem Persönlichkeitskontinuum darstellen. Fragebeispiel: „Ihre Emotionen steuern Sie mehr, als dass Sie diese steuern.“ Oder „Wenn jemand nicht schnell auf Ihre E-Mail antwortet, machen Sie sich Sorgen, ob Sie etwas Falsches gesagt haben.“ – Antwortmöglichkeiten von „stimmt total“ bis „stimmt überhaupt nicht“.

Es gibt noch zwei weitere Kategorien, die abgefragt werden, und die zeigen, dass auch in den Bereichen Intuition vs. „handgreifliche Fakten“ sowie Planen vs. spontan entscheiden unterschiedliche Denk- und Handlungsweisen möglich und legitim sind. Beispielfragen hier: „Sie improvisieren lieber, als Zeit damit zu verbringen, einen detaillierten Plan auszuarbeiten.“ Oder „Sie verlegen Dinge häufig.“ Ebenfalls wieder mit Antwortmöglichkeiten von „stimmt total“ bis „stimmt überhaupt nicht“.

Bei zerstrittenen Paaren kann die gemeinsame (!) Beantwortung der Fragen dazu führen, dass Extrempositionen aufgegeben werden können: „So wie ich es mache ist es richtig, jeder normale Mensch denkt und fühlt so wie ich, das KANN man gar nicht anders sehen!“ – und dann zeigen die Fragen, dass man das sehr wohl auch anders sehen kann und dass alles in Ordnung und ok ist. Das kann eine sehr tiefe Wirkung haben, und das gegenseitige Verständnis sowie auch das Verständnis für die typischen Immer wieder hochkommenden Problembereiche eines Paares fördern.

Generell gilt eben: Die Erkenntnis, dass Menschen nun mal einfach sehr unterschiedlich sind, und dass „anders“ eben nicht automatisch „schlechter“ oder sogar „falsch“ bedeutet, sondern in erster Linie eben erstmal einfach nur „anders“, kann eine sehr heilsame Wirkung vor allem auf diejenigen haben, die bisher immer geglaubt haben, mit ihrem Denken, Handeln und Fühlen ganz allein auf weiter Flur zu stehen – eine Erfahrung, die vor allem Introvertierte und/oder Hochsensible manchmal zeitlebens gemacht haben.
Und zerstrittenen Paaren kann die gemeinsame Beantwortung der Fragen wieder einen ersten Schritt hin zu Nachsicht und Toleranz ermöglichen – der Partner hat eben keine „unmöglichen Marotten“ oder ist „völlig falsch drauf“, sondern er ist einfach nur anders.

Hier einige Links zu Seiten, auf denen der Test kostenlos durchgeführt werden kann:
http://www.personality-tests.info/de/test.php (gute Alltagsfragen, leider schlecht übersetzt)