Selbstwertgefühl und äußere Eindrücke



Als Kinder müssen wir noch alles persönlich nehmen, weil wir es noch nicht besser wissen können: der schimpfende Nachbar, der schlecht gelaunte Lehrer oder auch verletzende Worte von Spielkameraden oder Erwachsenen beziehen wir erst einmal auf uns und nehmen sie als Aussagen darüber an, wie wir offenbar sind. 

In einer guten Kindheit gibt es daneben auch sehr viele positive Aussagen, die wir ebenso in uns einsaugen. 
So entsteht unser Selbstbild, und wir lernen, dass wir viele Seiten in uns haben, gute und schlechte, wie jeder Mensch, und dass dies in Ordnung ist. 

Wir lernen, uns ein realistisches Bild von uns selbst zu machen. Wir lernen, dass es darauf ankommt, dass „wir uns selbst im Spiegel in die Augen schauen können“. Wir machen uns buchstäblich ein eigenes Bild von uns selbst, versuchen unseren eigenen Werten und Idealen gerecht zu werden und glauben nicht mehr blind der negativen Meinung anderer über uns. Wir können erkennen ob Kritik berechtigt ist oder ob unser Gegenüber vielleicht einfach nur schlechte Laune hat, womöglich auch ungerecht oder sogar unverschämt reagiert, so dass wir uns den Schuh den er uns vor die Füße wirft nicht anzuziehen brauchen. Wir haben ein stabiles Selbstwertgefühl entwickelt und gehen das Leben positiv und mit Selbstvertrauen an.

Leider ist es sehr häufig, dass dieser Prozess, ein stabiles Selbstwertgefühl zu entwickeln, nicht reibungslos abgelaufen ist. Das Selbstwertgefühl konnte sich durch zu viele negative Spiegelungen nicht stabil ausbilden, und so bezieht man auch als Erwachsener weiterhin alles auf sich: Ich werde schlecht behandelt? Na, ich werde es wohl verdient haben! Schließlich haben schon immer alle gesagt, dass ich nichts wert bin, dass ich es nie zu etwas bringen werde, dass ich faul, hässlich, dumm und was sonst noch alles bin…

Als Psychotherapeutin versucht man dies in der Therapie ganz vorsichtig immer wieder zu hinterfragen, um solche Automatismen nach und nach überhaupt erst bewusst zu machen und diesen Teufelskreis somit zu unterbrechen. 

Die Wirkung auf das Selbstwertgefühl ist wie ein Silberstreif am Horizont: es ist oft der erste, aber wichtigste Schritt weg von einer destruktiven, auf lange Sicht unglücklich machenden Haltung hin zu einer realistischen Selbsteinschätzung und einem gesunden Selbstvertrauen.

Dann kann man auch bei starkem Gegenwind erst einmal ruhig bleiben und sich einfach fragen: Ist diese Reaktion meines Gegenübers jetzt berechtigt? Oder völlig überzogen? Was sagt sein Verhalten gerade über ihn selbst aus? Hat er einfach nur schlechte Laune, und ich bin das Ventil? Hat er Probleme, die vielleicht überhaupt nichts mit mir zu tun haben? Und wie reagiere ich da jetzt am besten darauf? 

So wird man im Laufe der Zeit immer weniger in das Geschehen hineingesogen, sondern kann sich die Situation ruhig betrachten und mit Vernunft und Gelassenheit darauf reagieren. Das Selbstwertgefühl wird dann von solchen Situationen nicht mehr beeinträchtigt. Es bleibt realistisch und stabil.

Und ja, bis dahin ist es für viele Menschen ein sehr weiter Weg. Aber er beginnt mit dem ersten Schritt, nämlich der Erkenntnis: Wie Dich jemand behandelt, sagt etwas über ihn aus. Nicht über dich.