Hochsensible ticken anders


In den letzten Jahren ist eine weitere Gruppe in den Fokus gerückt, die zum großen Teil (aber nicht nur!) aus Introvertierten besteht: die Gruppe der Hochsensiblen. Sie empfinden tiefer und werden von ihren Gefühlen und den Reizen der Umgebung oft überwältigt. Sie sind überaus empathisch und haben oft das Gefühl, nicht in diese harte und laute Welt zu passen. Früher hätte man sie als „sentimental“ bezeichnet, und viele Ältere werden sich an den verächtlichen Spruch „sei nicht so sentimental“ erinnern, wenn sie fremdes Leid anschauen mußten und dies kaum aushalten konnten, sei es Leid von wildfremden Menschen oder von Tieren. Heute nennt man solche Menschen „überempfindlich“, „zu weich“, oder auch „Gutmenschen“. Was gleich geblieben ist, ist dass man ihnen einzureden versucht, „falsch drauf“ zu sein und nicht in diese pragmatische und nüchterne Welt zu passen. Letzteres ist auch ihr Grundgefühl - Hochsensible fühlen sich von der Welt und vom Leid und den Konflikten darin überwältigt.
Dies nicht länger als Schwäche, sondern als Stärke begreifen - die Welt braucht viel mehr solcher Menschen, die sich nicht länger verstecken sollten - spricht sich unter Hochsensiblen langsam, aber sicher herum. Dennoch werden sie oft nicht verstanden, und viele Therapeuten betrachten Hochsensibilität bis heute nicht als eigenständige Eigenschaft. Leider - aber auch dies beginnt sich mehr und mehr zu wandeln, und dies finde ich wichtig.



Hochsensible und Compassion Fatigue


Hochsensibilität ist ein faszinierendes Phänomen, das durch eine erhöhte Empfindsamkeit gegenüber Reizen und eine tiefere Verarbeitung von Emotionen und Eindrücken gekennzeichnet ist. Menschen, die hochsensibel sind, nehmen ihre Umwelt intensiver wahr, sei es in Form von Geräuschen, Gerüchen oder auch den Gefühlen anderer Menschen. Diese Gabe ermöglicht es ihnen, ein starkes Mitgefühl für andere zu entwickeln. Doch gerade dieses intensive Mitfühlen birgt auch Risiken. Eines der größten davon ist die sogenannte *Compassion Fatigue*.

*Compassion Fatigue*, zu Deutsch etwa „Mitgefühlserschöpfung“, ist ein Zustand emotionaler, mentaler und physischer Erschöpfung, der häufig bei Menschen auftritt, die beruflich oder privat stark in die Pflege und Unterstützung anderer involviert sind. Dazu gehören beispielsweise Therapeuten, Pflegekräfte, Ärzte, aber auch Menschen, die sich um kranke Angehörige kümmern oder generell eine hohe empathische Kompetenz besitzen.
Im Gegensatz zum Burnout, der durch chronische Überlastung und Stress entsteht, ist Compassion Fatigue spezifisch mit der emotionalen Belastung verbunden, die durch das Mitfühlen und Miterleben des Leids anderer Menschen entsteht. Ein wesentliches Merkmal der Compassion Fatigue ist, dass die betroffene Person das Leiden anderer nicht mehr ausreichend verarbeiten kann, was zu einer tiefen emotionalen Erschöpfung führt. 

Warum sind Hochsensible besonders anfällig?
Hochsensible Menschen haben ein stark ausgeprägtes Empathieempfinden. Sie spüren nicht nur die offensichtlichen Gefühle ihrer Mitmenschen, sondern oft auch die subtilsten emotionalen Nuancen. Das bedeutet, dass sie das Leid anderer intensiver und umfassender wahrnehmen, was sie besonders anfällig für Compassion Fatigue macht. Es gibt mehrere Gründe, warum Hochsensible ein höheres Risiko tragen:

1. Tiefes Mitfühlen: Hochsensible Menschen haben eine außergewöhnliche Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen. Während dies eine wunderbare Eigenschaft ist, führt es auch dazu, dass sie die Schmerzen und das Leid anderer Menschen stärker und intensiver nachempfinden. Mit der Zeit kann dies zu einer überwältigenden Belastung werden, besonders wenn keine ausreichende emotionale Distanz aufgebaut wird.

2. Ständige Reizüberflutung: Hochsensible Menschen sind oft leichter von äußeren Reizen überfordert, sei es durch Lärm, Licht oder soziale Interaktionen. Wenn sie zusätzlich noch emotional belastende Situationen erleben, kann dies zu einer schnellen Erschöpfung führen, da ihr Nervensystem dauerhaft auf Hochtouren läuft.

3. Perfektionismus und Selbstanspruch: Viele Hochsensible haben hohe Ansprüche an sich selbst und fühlen sich verantwortlich für das Wohlergehen anderer. Dieses starke Verantwortungsbewusstsein kann zu einem Gefühl der Überforderung führen, insbesondere wenn sie das Gefühl haben, dass sie nicht genug tun können, um anderen zu helfen.

4. Fehlende Abgrenzung: Hochsensible Menschen haben oft Schwierigkeiten, sich emotional abzugrenzen. Sie nehmen das Leid anderer nicht nur wahr, sondern tragen es oft mit sich herum. Das kann dazu führen, dass sie sich selbst in ihrer Hilfsbereitschaft aufreiben, ohne ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu wahren.

Für hochsensible Menschen ist es darum besonders wichtig, Strategien zu entwickeln, um sich vor Compassion Fatigue zu schützen. Hier einige Ansätze:

Selbstfürsorge: Sich Zeit für sich selbst zu nehmen und regelmäßig Pausen einzulegen, ist entscheidend. Hochsensible Menschen sollten Aktivitäten finden, die ihnen helfen, sich zu entspannen und ihre eigenen Energiereserven wieder aufzufüllen.
Emotionale Abgrenzung: Es ist wichtig, zu lernen, wie man emotional Abstand zu den Problemen und dem Leid anderer gewinnt, ohne das Mitgefühl zu verlieren. Techniken wie Achtsamkeit oder Meditation können hier hilfreich sein.
Austausch mit Gleichgesinnten: Der Austausch mit anderen Hochsensiblen oder Menschen in ähnlichen Berufen kann entlastend wirken. Es hilft zu wissen, dass man nicht allein ist und dass andere ähnliche Erfahrungen machen.
Professionelle Unterstützung: in Phasen besonders hoher Belastung und bei hohem Leidensdruck kann es sinnvoll sein, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, um besser mit den emotionalen Belastungen umzugehen und die eigenen Grenzen zu wahren.

Hochsensible Menschen haben also das Potenzial, durch ihr starkes Empathievermögen einen großen Beitrag zum Wohl ihrer Mitmenschen zu leisten. Doch gerade diese Fähigkeit birgt auch das Risiko, emotional auszubrennen, wenn sie sich nicht ausreichend schützen. Das Verständnis für Compassion Fatigue und die Entwicklung von Schutzstrategien sind daher essenziell, um langfristig gesund und ausgeglichen zu bleiben. Nur so können Hochsensible ihre Gabe voll entfalten, ohne sich selbst dabei zu verlieren.